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Albatros – ein mythischer Seevogel

von | Okt 17, 2023

Hochseevögel und Hochsee-Rennyachten haben Gemeinsamkeiten. Ihr Revier ist der offene Ozean und sie sind durch natürliche bzw. technische Evolution den dort herrschenden Bedingungen optimal angepasst. Form und Funktion ergänzen einander und im Idealfall ist das Resultat atemberaubend schön. Im Fall der Seevögel sind deren stromlinienförmiger Körper, ihr elegantes Flugbild und die perfekten Segelleistungen Beweise für den Einklang von Effizienz und Ästhetik. Innerhalb dieser Meister des Segelfluges gibt es eine Gruppe, die nochmals heraussticht: die Albatrosse. Sie sind sozusagen die Königsklasse der Seevögel.

Im napfförmigen Nest wird ein einziges Ei ausgebrütet. Die großen Albatros-Arten brüten nur jedes zweite Jahr, weil die Aufzucht des Jungen lange dauert (Wanderalbatros, Diomedea exulans).

Von Dr. Reinhard Kikinger

Albatrosse zählen zusammen mit den Sturmvögeln und den Sturmschwalben zu den sogenannten Röhrennasen. Diese drei Vogelfamilien sind besonders gut zum Segelflug über dem Meer befähigt und leben großteils auf hoher See. Sie ruhen sowohl im Flug als auch schwimmend auf dem Wasser. Ihre drei Vorderzehen sind durch Schwimmhäute verbunden, an Land kommen sie nur zur Brutzeit.
Der Name Röhrennasen leitet sich von den nach vorne röhrenförmig ausgezogenen Nasenöffnungen ab. Alle drei Familien der Röhrennasen sind langflügelige Hochseevögel. Die Albatrosse sind die größten unter ­ihnen. Sie sind durch ihre mächtige Flügelspannweite und ihren aus­dauernden Segelflug ausgezeichnet.


Foto links: Landeanflug – das „Fahrwerk“ ist ausgefahren, die Landung steht unmittelbar bevor. Die Schwimmhäute zwischen den Vorderzehen ermöglichen guten Vortrieb im Wasser (Königsalbatros, Diomedea sanfordi). Die mehr als drei Meter spannenden Flügel können schnell und platzsparend gefaltet werden (Wanderalbatros, Diomedea exulans, Foto rechts).

Diomedeidae, die Familie der Albatrosse 
Einundzwanzig Arten sind innerhalb dieser Familie beschrieben. Die meisten davon leben in südlichen Breiten. Die kleineren Arten erreichen um die zwei Meter Flügelspannweite, die großen über drei Meter. Die großen Albatrosse brüten erst mit neun oder zehn Jahren das erste Mal und können über sechzig Jahre alt werden. Sie verpaaren sich für ihr gesamtes Leben mit einem Partner, diese Bindung wird durch zeremonielle Tänze immer ­wieder erneuert und gefestigt. 
Die meisten Arten brüten einmal jährlich auf ozeanischen Inseln. Bei den größten Albatrossen jedoch ­dauert die Aufzucht des Jungen elf Monate, sodass ein zweijähriger Brutrhythmus eingehalten wird. Nur ein einziges Ei wird jeweils gelegt. Das Nest befindet sich am Boden und ist meist nicht mehr als eine Mulde oder ein erhöhter Sockel aus Erde und Gras. Das Küken wird von beiden Eltern gefüttert, indem sie einen Nahrungsbrei aus ihrem Magen hochwürgen und an den Jungvogel übergeben. Die Nahrung besteht aus Tintenfischen, Fischen und ­weiteren Angeboten des Ozeans. 
Die Elternvögel entfernen sich bei der Nahrungssuche auf ihren ozeanischen Streifzügen bis zu tausende Kilometer von ihren Nestern, die sie in den Weiten des Ozeans punkt­genau wieder auffinden.


Zur Paarfindung werden zeremonielle Handlungen ausgeführt. Dazu zählen Tänze, Lautäußerungen und Schnabelspiele (Schwarzbrauenalbatros oder Mollymauk, Thalassarche melanophris). Foto rechts: Wenn der Elternvogel nach seiner Futtersuche vom Ozean zu seinem Nest zurückkehrt, würgt er das gesammelte Futter hervor und übergibt es dem Nestling – wegen des aufgenommenen Plastiks manchmal mit tödlichen Konsequenzen für den Nachwuchs (Wanderalbatros, Diomedea exulans).

GreifWerkzeug und Spezial-Tragflächen 
Sowohl der Schnabel als auch die Flügel der Albatrosse sind Hightech-Konstruktionen der Natur. Der große Schnabel besteht aus mehreren Hornplatten und besitzt am Ende einen ausgeprägten Haken. Er ist damit ein bestens geeignetes Werkzeug, um an der Wasseroberfläche treibende Nahrung zu ergreifen und aufzunehmen. 
Das eindrucksvollste Merkmal der Albatrosse sind aber ihre schmalen, gebogenen Flügel. Sie ­ermöglichen diesen Vögeln einen Segelflug, der mühelos und elegant erscheint. Bis zu einer Windgeschwindigkeit von etwa dreißig Knoten sind die Flügel voll ausgebreitet, mit leichter Beugung im Handwurzelgelenk. Bei höheren Windgeschwindigkeiten werden die Flügel näher an den Körper gebracht und stärker gebeugt, um mühelos schnellen Flug zu ­ermöglichen. 


Die Eltern wechseln sich beim Brutgeschäft ab. Während ein Elternvogel konsequent die Stellung am Nest hält, legt der andere weite Strecken auf der Suche nach Futter zurück  (Wanderalbatros, Diomedea exulans).

Wind ist der beste Freund der ­Albatrosse, nur er macht den ausdauernden und energiesparenden Segelflug dieser Vögel möglich. Bei Windstille rasten sie treibend an der Meeresoberfläche. Um bei Wind von dort wieder zu starten, ist ein Anlauf über Wasser nötig, um sich gegen den Wind wieder in die Luft zu erheben. Die äquatorialen, windarmen Kalmen des tropischen Atlantiks und Pazifiks scheinen auch die Ursache dafür zu sein, dass die Albatros-Arten der Süd­hemisphäre kaum in die Nord­hemisphäre vorstoßen.


Ein langes Armskelett mit kurzen Armschwingen und ein sehr langes Handskelett mit sehr langen Handschwingen sind charakteristisch für den Albatros-Flügel (Königsalbatros, Diomedea sanfordi).

Die Größten der Großen
Das sind der Wanderalbatros (Diomedea exulans) und der Südliche und Nördliche Königsalbatros (Diomedea epomophora bzw. D. sanfordi). Diese Albatros-Arten sind in den südlichen Ozeanen anzutreffen. Sie erreichen eine Flügelspannweite von dreieinhalb Metern und sind die Vögel mit der größten Flügelspannweite weltweit. Diese Langstreckenflieger verbringen etwa neunzig Prozent ihres Lebens auf offener See. 
Ihr bevorzugtes Verbreitungs­gebiet liegt zwischen 60 ° Süd und dem Wendekreis des Steinbocks. Damit sind sie im stürmischen Westwind-Gürtel der „roaring forties“ und der „screaming sixties“ unterwegs, wo sich kaum ein Hindernis den tobenden Westwinden entgegenstellt. Es ist anzunehmen, dass sie auf der Rückreise zu ihren Brutinseln eine zirkumpolare Route wählen und damit den südlichen Atlantik, Indischen Ozean und Pazifik überqueren.

Gefährdungen
Aufgrund ihrer Größe haben ­Alba­trosse kaum natürliche Feinde. Auf der Meeresoberfläche ruhende Vögel können allerdings von Schwertwalen, Haien oder Robben attackiert werden. Die wahren Gefahren lauern woanders, und wie nicht anders zu vermuten, steckt der Mensch dahinter. Hunde, ­Katzen und vor allem Ratten, die von Seefahrern auf Brutinseln der Albatrosse eingeschleppt wurden, fressen die Küken beziehungsweise die Eier der Vögel. 
Auf offener See ist die Langleinen-Fischerei für Albatrosse eine tödliche Gefahr. Die Zielfischarten dieser industriellen Fischerei sind verschiedene Thunfischarten, Kabeljau, Schwertfische, Schwarzer Seehecht und andere Fische mit
hohem kommerziellem Wert. Wenn die tausenden beköderten Haken der kilometerlangen Leinen nicht rasch genug absinken, werden ­Köder von den Albatrossen verschluckt, die dann in die Tiefe ­ge­zogen werden und ertrinken.
Auf diese Weise verendet jedes Jahr eine große Zahl von Albatrossen, Fregattvögeln, Meeresschildkröten und anderem Beifang. Sowohl Wander- als auch Königsalbatros werden auf der Roten Liste der IUCN (International Union for Conservation of Nature) als ge­fährdete Arten geführt.


Das ist eine der Folgen unserer Konsum- und Wegwerfgesellschaft. Totes Albatros-Küken (Abb. links), dem Plastik verfüttert wurde, das seine Eltern in den Weiten des Nordpazifiks gesammelt hatten. Rechts: An den beköderten Haken der Langleinen enden nicht nur die erwünschten Fischarten, sondern auch Meeresschildkröten und viele Seevögel wie dieser Albatros, die jämmerlich ertrinken.

Nomen est omen, die Midway-Inseln

Sie liegen tatsächlich in der Mitte des Nordpazifiks, weit entfernt von jedem kontinentalem Festland. Sie sind aus mehreren Gründen bemerkenswert. Einerseits, weil sie als Teil der hawaiianischen Inselkette Darwin‘s vulkanische Subsidenz­theorie der Atoll-Entstehung wie aus dem Lehrbuch bestätigen. Andererseits weil sie zeigen, dass Inseln nicht entlegen genug sein können, um nicht doch für militärische Zwecke missbraucht zu werden. 

Sie waren im Zweiten Weltkrieg Schauplatz einer Schlacht zwischen Japan und den USA und dienten danach jahrzehntelang als US-Stützpunkt und Zwischenlan­destation für Transportmaschinen im Korea- und Viet­­namkrieg. Heute sind sie Naturschutzgebiet und dienen zahlreichen Seevögeln als Brutinseln. Dazu zählen auch der Laysanalbatros (Phoebastria immutabilis) und der Schwarzfußalbatros (Phoebastria nigripes). 
Da es keine natürlichen Feinde für sie auf der Insel gibt, sind sie angstbefreit und verhalten sich auch dem Menschen gegenüber zutraulich. Perfekte Bedingungen für Feldforschung vor Ort. Der amerikanische Filmemacher und Fotograf Chris Jordan produzierte hier eine denkwürdige Dokumentation über die Brutkolonie des Laysan­­albatros auf Midway.

Dieser Artikel erschien in ocean7 1/2020. Wissenschaftliche Artnamen wurden in dieser Online-Version ev. aktualisiert und gemäß WoRMS (World Register of Marien Species) auf den letzten Stand gebracht.

Dr. Reinhard Kikinger ist Meeresbiologe, langjähriger Kursleiter an der Universität Wien, an Feldstationen im Mittelmeer und auf den Malediven und schreibt seit 2007 für ocean7.

Fotos: Shutterstock, Chris Jordan

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