Skipper’s Diaries von Thomas Pernsteiner

In die Fußstapfen des Schreckgespensts aller Seefahrer zu treten ist keine leichte Aufgabe. Aber Übung macht den Meister, das gilt auch für kleine Klabautermänner.

Kapitän Meyers schwang wie gewohnt seine Beine aus der Koje und wollte in seine hohen, braunen Lederstiefel, die vor seinem Bett standen, schlüpfen. Doch da waren keine Stiefel, sondern nur die ausgetretenen, weißen Pantoffel des Schiffskochs.
Da bemerkte der Kapitän das aufgeregte Hin- und Herlaufen auf dem Oberdeck. Barfuß ging er hinauf und musste schmunzeln. Die gesamte Mannschaft war damit beschäftigt, die jeweils richtigen Schuhe zum richtigen Mann zu finden. Der Koch kam mit den Kapitänsstiefeln vorbei. Meyers schnappte sich sein Schuhwerk und donnerte mit brummiger Stimme los: „Wem bei allen Stürmen dieser Weltmeere ist denn dieser Unfug eingefallen?“ Betretenes Schweigen der Mannschaft. „Statt eurer Arbeit nachzugehen habt ihr Halunken nichts Besseres im Sinn, als Streiche zu spielen!“

Nachdem sich kein Verantwort­licher finden ließ, ging der Kapitän auf die Brücke, um dort nach dem Rechten zu sehen. Wie üblich stand gleich neben dem Kartentisch eine Schale duftenden Kaffees, ohne den Meyers in der Früh besonders brummig war. 
Nach zwei Löffeln Zucker nahm er den ersten Schluck, stürmte mit einem lauten „Hrpff“ zur Seereling, spuckte das salzige Gebräu ins Meer und warf die Schale gleich hinterher. Irgendjemand hatte in seine geliebte Zuckerdose Salz eingefüllt!
Wer war so dreist, ihm solche Streiche zu spielen? Da fielen ihm die Begebenheiten der letzten Tage ein. Der verlegte Kartenzirkel, die plötzlich leere Tabaksdose, der Mittagstisch ohne Besteck. Wer konnte der Täter sein?

Am nächsten Morgen kam er an Deck und es fiel ihm sofort auf, dass seine Männer ihm schweigsam auswichen. Als er einen Blick in den Himmel warf, traute er seinen Augen nicht. Die Vorsegel waren gelb, die Großsegel rot und die Besansegel blau angemalt! Wie eine bunte Kuh zog sein Schiff über das Meer. Das schlug dem Fass den Boden aus! ­Sofort gab er Befehl, die Segel zu bergen und zu reinigen. Später in seiner Kajüte fasste er einen Plan.

Eine Münze unterm Mast
Am Abend rollte der Kapitän seine Kleider zusammen, so dass man durch das Bullauge blickend glauben konnte, er läge in seiner Koje. Meyers setzte sich aber gleich hinter die Tür und hielt Wache. Die Stunden vergingen, da öffnete sich plötzlich leise der Eingang. Mit seinen riesigen Händen packte Meyers zu und schnappte eine kleine, grünliche Gestalt mit blauen, zotteligen Haaren. „Wer bist du, und was fällt dir ein, hier herumzuschleichen und Unfug zu treiben?“, fragte er.
Zerknirscht, aber auch trotzig ­antwortete der kleine Wicht: „Ich bin der jüngste Sohn des Klabautermanns und schon seit Tagen hier an Bord, um zu üben, wie man Seeleuten Streiche spielt.“

„Aber ich habe dich erwischt“, spottete Meyers, „und morgen früh werde ich dich der Mannschaft vorführen. Die werden sich freuen, dich in die Finger zu kriegen.“
Da begann der Sohn des Klabautermanns zu betteln und zu weinen: „Mein Vater wird sehr böse sein, es ist nämlich die größte Schande für einen Klabautermann, erwischt zu werden! Kannst du nicht ein Auge zudrücken und mich freilassen?“

Der Kapitän, der im Innersten ein weiches Herz hatte, nahm dem Wicht das Versprechen ab, dass er zukünftig alle Schiffe, auf denen er das Kommando haben sollte, verschonen würde. Er begleitete den Sohn des Klabautermanns noch zur Reling und sah zu, wie dieser in den Tiefen des Meeres verschwand. Zurück in seiner Kajüte fand der Kapitän auf seinem Polster einen Zettel, auf dem in krakeliger Schrift stand:
Weil du im Herzen ein guter Mensch bist, verrate ich dir das große Klabauter-Geheimnis. Wenn du willst, dass dein Schiff von uns in Ruhe gelassen werden soll, so lege eine kleine Münze unter den Mast, wo jeder Klabautermann zuerst nachschaut. Das ist für uns das Zeichen, dass du ein Eingeweihter bist. Dein Klabautermann

Thomas Pernsteiner ist Skipper, allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für Schifffahrt und Wasserfahrzeuge.

Fotos: privat
Illustration aus dem Buch „Zur See“, Henk Verlagsanstalt und Druckerei, Hamburg, 1885.

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