Fast keine Insel | ocean7

Fast keine Insel

von | Nov 13, 2023

Euböa, die nach Kreta zweitgrößte Insel Griechenlands, ist vom internationalen Tourismus noch nicht so richtig entdeckt. Als Segelrevier hat sie aber einiges zu bieten: traumhafte Ankerbuchten, urige Tavernen, anspruchsvolle Langfahrten und nicht zuletzt die schmalste Meerenge der Welt. 

Wenn man auf Euböa – bei den Einheimischen nur unter Evia bekannt – auf Touristen trifft, sind das in der Regel Griechen aus dem Großraum Athen, die hier gerne ihre Wochenenden oder in kleineren einfacheren Unterkünften ihren Urlaub ­verbringen. Aber auch unter den Griechen hat die Insel touristisch gesehen keinen leichten Stand. Zum einen liegt sie nah am Festland und wird nicht so richtig als Insel anerkannt. Und zum anderen macht auf Euböa das gebirgige Hinterland ein Fortkommen schwer. 
Gut für uns Segler! Von Athen oder den Nördlichen Sporaden aus ergeben sich mit ca. 340 Seemeilen schöne, abwechslungsreiche Zwei- oder Mehrwochentörns, auf denen man das authentische Griechenland kennenlernen kann. Man wird in der gesamten Region sogar in der Hochsaison nur sehr wenige andere Yachten antreffen, daher ist Euböa noch ein echter Geheimtipp!

Dem Himmel so nah auf Euböa.


Lavrio, die optimale Basis 
Der ideale Ausgangspunkt für einen Törn ist Lavrio, zu Beginn der Rundreise geht es Richtung Norden, an der unbewohnten, ehemaligen Gefängnisinsel Makronisos vorbei, dann einige Meilen übers offene Meer. Kurz vor Euböa taucht die Petalische Inselgruppe auf, deren Inseln mit teils sehr schönen Ankerbuchten und glasklarem Wasser locken.
Wer keine Infrastruktur braucht und einfach Ruhe und Abgeschiedenheit sucht, kann hier die erste Nacht verbringen. Der Rest fährt durch die enge Passage zwischen den Inseln Chersonisi und Euböa. Vorsicht am Ende der Durchfahrt beim Great Sand Beach, einem in der Hochsaison bei Surfern beliebten Spot: gut freihalten, da es in dem Bereich teilweise nur einen Meter Wassertiefe hat.

Hübsche Cafés und Tavernen Ende nie in Marmari.

Von Marmari zum Nadelöhr
Nur eine Meile nordöstlich davon liegt die kleine Küstengemeinde Marmari, die mit einer hübschen Promenade, reizvollen Stränden, gemütlichen Cafés, Ouzerien, Fisch- und Fleischrestaurants sowie Tavernen aufwarten kann. Sogar bei starkem Meltemi sind wir hier sicher vor Anker gelegen, und auch das Segeln entlang der Küstenlinie geht mit nur kleiner Welle gut. Man ankert hier südlich der Ortschaft frei oder nimmt sich an der Hafenpromenade einen der wenigen Gastliegeplätze mit Wasser- und Stromanschluss. Rund um Euböa funktioniert ein und dieselbe Karte zum Freischalten der Strom- und Wassersäulen – sonst ist in Griechenland leider in jedem Hafen eine eigene Karte zu besorgen, und für Restguthaben ­bekommt man kein Geld retour.
Über den Schinias National Park mit seinen Dünen, Pinien und dem auch bei starkem Nordwind gut geschützten Ankerplatz, dem gemütlich in einer kleinen Bucht gelegenen Porto Buffalo und dem bei Griechen beliebten Urlaubsort ­Eretria geht es Richtung Chalkida. Zuerst acht Seemeilen nach Westen, danach ist in der Regel ein oftmaliges Aufkreuzen in dem teilweise nur zwei Kabellängen breiten Meereskanal nötig. Anschließend lässt man die Chalkis-Schiffswerft backbord liegen und passiert die 395 Meter breite Schrägseilbrücke. Mit 36 Metern erlaubter Durchfahrtshöhe haben wir keine Probleme. Jetzt noch eine Seemeile gen Norden und wir sind in Chalkida und der schmalsten Meerenge der Welt angekommen. 


Jetzt wird es eng
Chalkida ist mit mehr als 100.000 Einwohnern die Hauptstadt Euböas. Über den Euripos, die nur 40 Meter breite Meerenge zwischen dem Festland (Attika) und der Insel, führte bereits 411 v. Chr. eine Brücke. Eine Besonderheit dieser berühmten Passage besteht darin, dass das Meer alle sechs Stunden seine Strömungsrichtung ändert. 
Die Brücke wird nur einmal pro Tag für die Durchfahrt geöffnet, und das immer nur während der Nachtstunden. Nach Ankunft sucht man in der Nähe der Brücke das Hafenbüro auf und meldet sich dort für die Passage an. Schiffspapiere, Ausweise und Geld (34 Euro) nicht vergessen! Ab 21 Uhr muss man auf dem VHF-Kanal 12 auf Standby so lange lauschen, bis die detaillierten Durchfahrtsanweisungen vom Hafenamt Chalkida per Funk durchgegeben werden.
In der Zwischenzeit kann man die Stadt erkunden. Neben einer langen Promenade mit unzähligen Cafés und Tavernen gibt es auch ­einen kleinen Stadtstrand zum Baden und ein paar nicht sonderlich attraktive Einkaufsstraßen zum Shoppen. Man kann auch die Kajakfahrer beobachten, die die bis zu sechs Knoten starke Strömung nutzen und dort quasi fürs Wildwasser-Kajaking trainieren. Mit etwas Glück kann man auch große Wasserschildkröten durch die Engstelle treiben sehen. 
Die Brücke öffnet dann immer nachts zur Stillwasserzeit. In welcher Zeitspanne das sein wird, kann man tagsüber schon anhand der elektronischen Anzeigetafeln neben der Fahrbahn in Brücken­nähe einsehen. Wenn es soweit ist: Positionslichter und Motorlicht an, Motor starten und Anker auf- bzw. ablegen und im offenen Seeraum driften/kreisen, bis der eigene Bootsname zur Durchfahrt von der Hafenbehörde aufgerufen wird. Dann geht’s durch das Nadelöhr. Wenn die Öffnung nicht erst ganz spät passiert, kann man mit vielen Schaulustigen auf beiden Straßenseiten rechnen. Ein einmaliges ­Erlebnis ist es auf jeden Fall …

Meerenge Euripos.

Fotos: Markus Silbergasser.

Markus Silbergassers Empfehlungen für die Insel Euböa ist in voller Länge in der aktuellen ocean7-Ausgabe 6/2023 nachzulesen: Print-Ausgabe erhältlich im Abo, im ausgesuchten Einzelhandel und auf Bestellung in jeder Trafik. Und für alle unterwegs gibt’s das E-Paper für Smartphone, Tablet, Laptop oder Computer.

 

Markus Silbergasser ist Blogger, Reisefotograf und Fahrtensegler mit mehr als 45.000 sm im Kielwasser. Mitfahrmöglichkeiten im Mittelmeer und weitere Törnberichte in seinem Segelblog unter www.untersegeln.eu

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