Die Erinnerung an schaurige Bilder von eingeklemmten Beinattrappen sitzt tief. Stimmt es, dass die Mördermuschel wie ein Fangeisen zuklappt und den verzweifelten Taucher festhält? Warum macht sie das? Wie gefährlich sind diese Muscheln tatsächlich? Der Versuch einer Rehabilitierung.

Mördermuschel … das klingt kernig! Dieser Name suggeriert Gefahr, ähnlich wie Menschenhai oder Feuerqualle. Noch dazu ist von Mord die Rede. Wen ermordet diese Muschel? Ernährt sie sich von Tauchern und Schnorchlern, die sie heimtückisch in die Falle lockt? Zugegeben, das sind provokante Fragen. Absurde Namen wie Mördermuschel verlangen jedoch nach einer kritischen Hinterfragung.


Keine Angst – der Schnorchler an der Wasseroberfläche ist nicht in Gefahr. Selbst der Fisch, der gerade hinter der Muschel verschwindet, dient ihr nicht als Nahrung und bleibt unbehelligt. Rechts ist die zweiklappige Schale der Riesenmuschel zu sehen, die aus massivem Kalk ist. Die Muschel selbst, die diese Schale produziert und in ihr lebt, ist ein skelettloses Weichtier.

Steckbrief einer Mördermuschel
Zoologisch gehören die sogenannten Mördermuscheln zum Stamm der Weichtiere (Mollusca). Sie bewohnen die Korallenriffe des Indo-Pazifik und kommen in den oberen, flachen Riffbereichen vor. Sie haben massive, gewellte Kalkschalen. An der Außenseite der Muschelschalen befinden sich schalen­­förmige Schuppen, deren Zahl und Ausprägung artspezifisch variiert. Das Weichtier selbst wird von den zwei Schalen eingeschlossen, die mit einem elastischen Band, dem Ligament, verbunden sind. Das Schließen der Schalen erledigen kräftige Schließmuskel. Die Befestigung der Schalen im Riff erfolgt durch spezielle Fäden (Byssusfäden), die aus einem erstarrten Haftsekret bestehen.

In der Aufsicht ist der gewellte Weichkörper der Muschel gut zu erkennen. Auch die längliche Einström- und die runde Aus­­strömöffnung sind deutlich sichtbar. Der rote Aufwuchs auf den Schalen sind Hornkorallen. Die großen Schalen der Riesenmuscheln sind begehrtes Aufwuchs-Substrat. Rechts sind es Scheibenanemonen (Corallimorpharia), die der Muschel ihr pelziges Aussehen verleihen.

Einige Arten sind im Korallenriff in Spalten und Nischen derart eingebettet, dass nur ihre Schalenränder sichtbar sind. Vom Weichkörper der Muschel ist nur der sogenannte Mantel zu sehen, der die Schalenränder weit überlappen kann und oft ausgesprochen farbenprächtig ist. Am Rand des Mantels befinden sich Lichtsinnesorgane, die der Muschel auch die Annäherung eines Tauchers signalisieren. Fällt Schatten auf sie, zieht sich der Mantel zurück und die Schalen werden schrittweise geschlossen. Innerhalb der Riesenmuscheln sind zehn Arten bekannt. Die größte ist Tridacna gigas, die über einen Meter groß und mehrere 100 kg schwer werden kann. Sie ist die größte Muschel weltweit und kann bis 100 Jahre alt werden.

Mördermuscheln – so gefährlich wie ihr Name?

Aber auch diese Riesen beginnen klein. Die Muscheln geben Eier und Samen in das freie Wasser ab, viele der Eier werden befruchtet und entwickeln sich zu mikroskopisch kleinen Larven. Sie sind nun Teil des Planktons, driften mit Meeresströmungen und viele werden gefressen. Einige schaffen es aber, durchlaufen eine Metamorphose, setzen sich im Korallenriff fest und wachsen im Lauf der Jahre zu neuen Riesenmuscheln heran.

Auch Riesenmuscheln beginnen klein. Dieses junge Exemplar muss sich gegen die Konkurrenz eines roten Schwammes durchsetzen. Auch Fressfeinde können der Muschel ein jähes Ende bereiten. 

Speiseplan einer Mördermuschel
Wie auch etliche andere Riffbewohner sind diese Muscheln polytroph, sie verfügen über verschiedene Ernährungsweisen. Eine große Rolle spielt dabei das Sonnenlicht. Im Mantelgewebe der Riesenmuschel befinden sich einzellige Algen, sogenannte Zooxanthellen. Um diese mit ausreichend Licht zu versorgen, stülpen Riesenmuscheln ihren Mantelrand weit aus. Auf diese Weise erhalten die symbiontischen Algen genügend Licht zur Photosynthese. Der produzierte Sauerstoff und Teile der Photosynthese Produkte kommen der Riesenmuschel zur Atmung und als Nahrung zugute.

Mantelgewebe, Ausströmöffnung, Pigmentierung und Einfaltungen verleihen dieser Nahaufnahme einer Riesenmuschel den Charakter einer Mondlandschaft. 

Zusätzlich konsumiert sie auch Plankton, also Kleinorganismen. Wasser wird von ihr aktiv eingesogen und das enthaltene Plankton ausfiltriert. Ein- und Ausströmöffnungen sind immer deutlich zu erkennen. Durch eine längliche, oft gezackte Öffnung wird Wasser eingesogen, durch eine eher runde, glattrandige Öffnung wieder ausgestoßen. Diese Muscheln ernähren sich also indirekt von Sonnenlicht (durch ihre symbiontischen Algen) und durch Kleinorganismen, das Plankton. Nachdem sie weder Zähne noch einen Kauapparat haben, sind sie gar nicht in der Lage, größere Objekte wie etwa Fische zu konsumieren. Eine harmlosere Ernährungsweise als diejenige der Muscheln ist kaum denkbar, der Name Mördermuschel ist daher völlig irreführend.

Nicht alle Riesenmuscheln sind riesig. Die Art Tridacna crocea (Foto links) erreicht nur etwa 15 cm Größe, besticht aber durch leuchtend blaue Farbe. Die Schalen der Riesenmuscheln sind gewellt. Die Muschel hat mit ihren Lichtsinnesorganen den Fotografen des rechten Bildes bemerkt und ihr verletzliches Gewebe zurückgezogen.

Mörder- versus Riesenmuschel
Im englischen Sprachraum heißen die sogenannten Mördermuscheln Giant Clam, also Riesenmuscheln. Diese Bezeichnung wird ihrem charakteristischen Merkmal, der außergewöhnlichen Größe einiger Arten, wesentlich besser gerecht. Der Name, welcher wirklich zählt, ist zwar ohnehin nur der wissenschaftliche Artname. Aber auch die umgangssprachlichen Namen sollten reale Merkmale statt vermeintlicher Eigenschaften ausdrücken. Anthropozentrische Namensgebung kann zu einem völlig falschen Image einer Tierart führen, mit schwerwiegenden Nachteilen für diese Art.

Der Farbgebung und Pigmentierung der verschiedenen Individuen sind kaum Grenzen gesetzt. Je näher der Betrachter an die Riesenmuscheln herankommt, desto deutlicher wird ihre Schönheit und das extravagant anmutende Design ihrer Farben.

Wer ist der Mörder? 
Eine große Riesenmuschel hat zweifellos das Potential, das Bein oder den Arm eines Menschen einzuklemmen und eisern festzuhalten. Aber warum tut sie das und was hat das Bein in der Muschel verloren? Wer in die offenen Schalenklappen einer Riesenmuschel hineintritt, verletzt das Tier ganz erheblich. Um sich zu schützen, wird die Muschel ihre Schalen mit Schließmuskeln schließen. Das ist ein Schutzreflex, nicht mal Notwehr und ganz bestimmt kein Mord. Szenenwechsel: in vielen Teilen der Welt bieten Souvenirshops Korallenskelette, Haigebisse, Schildpatt, Muschel- und Schneckenschalen zum Verkauf an. Auch die Schalen von Riesenmuscheln sind begehrt. Alle diese Tiere werden lebend dem Riff entnommen, getötet und ihre Skelette Touristen zum Kauf angeboten. Die Schalen der getöten Muscheln verleihen dem Namen Mördermuschel eine neue Bedeutung, nämlich die des Opfers statt des Täters.  

Dr. Reinhard Kikinger ist Meeresbiologe, langjähriger Kursleiter an der Universität Wien, an Feldstationen im Mittelmeer und auf den Malediven und schreibt seit 2007 für ocean7.

Fotos: Dr. Reinhard Kikinger

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