Der Verkauf von Papierseekarten stagniert, in den USA beispielsweise sollen gedruckte Rasterkarten bereits ab 1. 1. 2025 der Vergangenheit angehören.
Von DI Harald Melwisch
Ein Grund für die sinkenden Verkaufszahlen (siehe dazu die Tabelle unten) ist die Tatsache, dass die ausrüstungspflichtige Seefahrt das digitale ECDIS (Electronic Chart and Display System) mit seinen dazu passenden ENC (Electronic Nautical Chart)-Seekarten benutzt. Seit 2018 sind diese ENCs als Ersatz der Papierseekarten sogar vorgeschrieben. Unter ENCs sind hier aber nicht die von der Freizeitschifffahrt benutzten „privaten“ digitalen Seekarten, sondern die eigens für die ausrüstungspflichtige Seefahrt entwickelten ECDIS-Karten zu verstehen.
Vor mehr als 20 Jahren ergab sich ein Problem: Anfang der 1990er-Jahre gaben zwei Notwendigkeiten den Startschuss für die Entwicklung neuer digitaler Seekarten:
1. Der Wunsch, die Genauigkeit der Seekarten zu verbessern.
2. Der Wunsch, die Seekarte auf einem Bildschirm darzustellen.
Punkt 1 ist durch die Satellitennavigation aufgekommen. Davor war es kein Problem, wenn eine abgelegene Bucht eine halbe Kabellänge ungenau verzeichnet war. Terrestrisch angefahren ist das kaum aufgefallen, mit Satellitennavigation angesteuert war es dann durchaus problematisch.
Punkt 2 wurde zu Beginn durch das Einscannen der Papierseekarten gelöst. Bald stellte sich aber heraus, dass digitale Vektorkarten mit mehreren Ebenen weitaus effizienter sind. Daher wurden digitale Vektorkarten entwickelt. Sie ermöglichen andere Darstellungsarten, andere Strukturen und andere Updateverfahren.
Die hydrografischen Institute der seefahrenden Nationen haben dadurch heute zwei verschiedene Seekartensysteme zu erhalten, Papierseekarten und ENCs.
Damit sind wir zurück beim Problem der stagnierenden Verkäufe von Papierseekarten: Der Unterhalt ist teuer, die Zahl der Kunden schrumpft. Wie kann man dieses Dilemma lösen?
Der amerikanische Weg
Die für die Seekarten der USA zuständige Administration NOAA (National Oceanic and Atmospheric Administration) zeigt einen interessanten Lösungsweg auf.
Die NOAA hat 2019 das Projekt „Raster Sunset“ gestartet. Es hat die Einstellung des Drucks von Rasterkarten bis 1. 1. 2025 zum Ziel. Die Einstellung der Papierseekarten geht schrittweise vor sich und hat schon begonnen. Auf gewissen Karten steht schon aufgedruckt, dass dies die letzte Ausgabe ist (siehe Abbildung rechts unten), manche werden bereits nicht mehr gedruckt. Im Internet gibt es auch eine Abfragemöglichkeit, welche Papierseekarten der USA gerade aufgelassen werden: https://www.charts.noaa.gov/MCD/DoleLastEdByChart.shtml
Aber das alles geschieht nicht ohne ein Hintertürchen für die Papierseekarte: Es wird ein Computerprogramm entwickelt, das aufgrund der digitalen Daten der ENCs neue „Papierseekarten“ generiert.
Die grafischen Konturen der Karten sind dabei nicht das Problem. Die ENCs werden mit Symbolen (z.B. Seezeichen) dargestellt, welche für die Darstellung am Bildschirm optimiert sind. Diese Symbole sind im S-52-Standard festgelegt. Für den Ausdruck auf Papier sollte aber der S-4-Standard verwendet werden. Dies ist eine internationale Version der INT1-Standards, welche noch immer von nationalen hydrografischen Instituten in nationaler Form (z.B. Sprache) verwendet werden. Das Computerprogramm muss also S-52- in S-4-Symbole umwandeln, die generierte Karte hat dann auch die englische Beschriftung von S-4.
Die neuen „Papierseekarten“ haben dann folgende Eigenschaften:
1. Sie werden von einem Computerprogramm generiert, das aus den Daten der Vektorkarten eine Karte mit möglichst ähnlichem Aussehen einer heutigen Papierseekarte errechnet.
2. Der darzustellende Kartenausschnitt kann dem Programm vorgegeben werden. Auch Maßstab und Papiergröße können gewählt werden.
3. Die benötigten Grafiken werden aus den Daten der ENCs errechnet. Dadurch ist nur mehr der Unterhalt eines Datensatzes nötig –jener der ENCs.
4. Beschriftungen und Symbole werden soweit nötig und möglich für den Ausdruck (S-4) verändert.
5. Allgemeine Bemerkungen zur Karte oder zu gewissen Bereichen der Karte werden nicht, wie bei Papierseekarten üblich, in die Karte geschrieben. Sie erscheinen als eigene auszudruckende Seite (wie im Kasten rechts unten am Beispiel
der Seekarte Hawaii aufgelistet).
6. Für den Fall von selbst definierten Kartenausschnitten gibt es Kartenname und Kartennummer im heutigen Sinne nicht mehr.
7. Die Karte wird als PDF-File ausgegeben und kann auf geeigneten Druckern und auf geeignetem Papier ausgedruckt werden (wie am Beispiel der Seekarte Hawaii unten sehen). Das kann ein Provider machen oder der User selbst.
8. Das PDF-File kann auch als geoPDF ausgegeben werden. Dieses enthält Metadaten für geografische Breite und Länge, sodass der Gebrauch mit Cursor am Bildschirm möglich ist.
Free Software
Das dazu nötige Computerprogramm existiert bereits in einer Testversion für US-Seekarten und kann im Internet getestet werden: https://devgis.charttools.noaa.gov/pod
Man definiert auf einer Karte einen Mittelpunkt und einen Maßstab, damit wird ein Ausschnitt angezeigt. Die gewünschte Papiergröße kann angegeben werden und nach kurzer Rechenzeit steht das PDF-File zum Download bereit. Einfach ausprobieren!
Print at Home
Allgemeine Bemerkungen werden, wie schon erwähnt, auf eigenen Seiten angezeigt. Grundsätzlich könnte dieses Computerprogramm mit dieser Methode weltweit angewendet werden. Es existieren ja von den meisten seegrenzenden Ländern der Erde die standardisierten ENCs für das ECDIS-System, und genau mit diesen Daten arbeitet das Programm.
Allerdings ist die NOAA nur der Besitzer der Seekartendaten der USA. Daher dürfen mit dem Programm zunächst nur Papierseekarten der USA angeboten werden. Es ist zu hoffen, dass die hydrografischen Institute anderer Länder diese Methode übernehmen oder ähnliche Lösungen finden, bevor sie ihre Papierseekarten abschaffen oder vernachlässigen.
Besonders die Möglichkeit, den Kartenausschnitt selbst zu wählen, ist bei dieser amerikanischen Lösung eine neue Dimension, die bisher bei Papierseekarten nicht möglich war. Wenn das in Zukunft z. B. auch für kroatische Seekarten möglich werden würde, dann könnte jeder Skipper daheim eine auf seinen Törn individuell zugeschnittene „Papierseekarte“ ausdrucken. Auch normales Papier wäre akzeptabel. Wird die Karte nass, dann nimmt man einen zweiten Ausdruck.
Damit könnte uns die Papierseekarte noch lange erhalten bleiben.
DI Harald Melwisch, Präsident des „King Yachting Club“,
Prüfungsreferent des MSVÖ – Motorbootsport und Seefahrts
Verband Österreich und langjähriger Experte auf dem Gebiet der
Berufs- und Freizeitschifffahrt.
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