Ein stachelbewehrter Seeigel genau dort, wo in der nächsten Sekunde unser Fuß aufsetzen wird, das ist der Inbegriff eines missglückten Badevergnügens. Seeigel haben aber auch eine andere Seite – ihre Schalen sind von unvergleichlicher Ästhetik und Symmetrie.
Persönliche Erfahrungen mit Seeigeln sind oft schmerzlicher Natur. Ein unbedachter Schritt beim Betreten oder Verlassen des Meeres, und schon signalisiert ein stechender Schmerz in der Fußsohle einen bösen Fehltritt. Spitze Stacheln eines Seeigels haben sich durch die Haut gebohrt, sind abgebrochen und sind nun für längere Zeit ein unerwünschtes Andenken an den letzten Aufenthalt am Meer.
Nach solchen Erfahrungen bleiben Seeigel natürlich in unangenehmer Erinnerung. Aber sie haben mehr zu bieten als schmerzende Verletzungen. Sie besitzen Schalen mit phantastischer Symmetrie, ihr Kauapparat ist nach einem berühmten griechischen Philosophen benannt und wir finden sie in den unterschiedlichsten Lebensräumen des Meeres.
Verwandtschaft und Anatomie
Seeigel zählen zum Tierstamm der Echinodermata, das sind die Stachelhäuter. Verwandte der Seeigel sind die Seesterne, Seegurken, Schlangensterne und Haarsterne. Alle sind ausschließlich marin. Den Namen Stachelhäuter verdanken sie ihrer Ausstattung mit speziellen Skelettelementen aus Kalzit. Seeigel mit lanzettartigen Stacheln sind vor allem auf Hartböden wie Felsküsten und Korallenriffen zu finden. Sie besitzen eine fünfstrahlig radiärsymmetrische Schale. Diese ist aus zahlreichen kleinen Kalkplättchen aufgebaut, auf ihnen sind die Stacheln gelenkig befestigt.
Zusätzlich verfügen diese Seeigel über Saugfüßchen, mit denen sie sich am Untergrund anheften können. Diese Füßchen werden auch zum Festhalten von Seegrasblättern, Schalenresten oder ähnlichen Fundstücken verwendet, mit denen sich manche Seeigel „tarnen“. Zur Verteidigung dienen ihnen zangenförmige Organe, die auf beweglichen Stielen sitzen und ähnlich wie ein Vogelschnabel zwicken können. Diese Pedicellarien genannten Werkzeuge sind bei einigen Arten mit Giftblasen ausgestattet, sodass deren Biss auch für Menschen sehr unangenehm sein kann.
Behandlung nach dem Stich
Die empfohlenen und angewandten Methoden sind lokal unterschiedlich. Man kann versuchen, die abgebrochenen Stacheln mit Pinzette oder Heftpflastern herauszuziehen. Bei kleinen Verletzungen kann auf die allmähliche Auflösung der Stacheln gesetzt werden. Um die Auflösung zu beschleunigen, können die Stacheln durch Reiben mit einem Stein oder Holz zerbrochen werden. Einheimische haben lokal zusätzliche Anwendungen entwickelt, die vom Auftragen des Saftes unreifer Papayafrüchte bis zur Applikation spezieller Fischpasten reichen. In schweren Fällen wird die operative Entfernung nötig sein.
Einige Seeigelfamilien (Echinothuriidae und Diadematidae) haben hohle Stacheln, die mit einer giftigen Flüssigkeit gefüllt sind. Brechen diese Stacheln ab, entleert sich ihr flüssiger Inhalt in das umgebende Gewebe und führt zu intensiven Schmerzen. Die Einstichstelle verfärbt sich und schwillt an, zusätzlich können auch unregelmäßiger Puls und Lähmungserscheinungen auftreten. Häufig wird empfohlen, die gestochene Stelle in sehr heißes Wasser zu halten, um die giftigen Eiweißverbindungen zu denaturieren. Die Schmerzen klingen innerhalb einiger Stunden ab, andere Symptome können jedoch länger andauern. Ärztliche Hilfe sollte in schweren Fällen oder bei allergischen Reaktionen unbedingt in Anspruch genommen werden.
Laterne des Aristoteles
Seeigel, die Felsböden und Korallenriffe bewohnen, ernähren sich hauptsächlich von Algen. Diese werden mit fünf Zähnen vom Untergrund abgeschabt. Die fünf bandartigen Zähne sind in einem komplizierten Gebilde angeordnet, das in seiner äußeren Form an eine Laterne erinnert. Form und Funktion dieses Kauapparates wurden erstmals von Aristoteles beschrieben. Neben seinen zahlreichen philosophischen und naturwissenschaftlichen Leistungen hat ihn auch die Beschreibung dieser „Laterne des Aristoteles“ unsterblich gemacht. Aber nicht alle Seeigel besitzen diese Laterne. Sie ist nur nützlich, wenn man sich schabend von Algen ernährt, die auf hartem Untergrund wachsen. Viele Seeigelarten kommen aber auf Weichböden vor, vor allem in submarinen Sanden.
Im Untergrund daheim
Sie führen ein verstecktes Leben, sehen anders aus als ihre spitz-bestachelten Verwandten und bevorzugen eine andere Kost. Die Rede ist von Seeigeln, die im Sand vergraben leben. Sie sind bilateral symmetrisch und besitzen spatelförmige Grabstacheln. Ihre Nahrung besteht aus organischen Partikeln und der Kleinfauna zwischen den Sandkörnern. Sie haben sehr dünne Schalen, deren Umriss ihnen oft die populär-wissenschaftlichen Namen gibt. Herzseeigel erinnern tatsächlich an eine Herzform, „Sand Dollars“ sind abgeflacht und münzenförmig. Man bekommt sie nur selten lebend zu sehen. Am ehesten findet man ihre leeren Schalen, die durch Wellenschlag aus dem Sand gespült und an das Ufer geschwemmt wurden. Diese Schalen sind ein schönes, ökologisch unbedenkliches, aber sehr zerbrechliches Souvenir. Wer es schafft, so ein delikates Stück unversehrt nach Hause zu bringen, kann sich viele Jahre lang an seiner zarten Schönheit erfreuen.
Fotos: Dr. Reinhard Kikinger