Kaum etwas regt die Fantasie von Schatzsuchern, Seeleuten und Tauchern mehr an als der Fund eines Wracks. Sofort stellen sich viele Fragen: Welches Schiff war das? Wann, warum und unter welchen Umständen ist es gesunken? Gab es Opfer und was hatte es geladen? Die geheimnisvolle Aura und die Stille der Unterwasserwelt tragen zusätzlich zur Faszination gesunkener Schiffe bei.

Dem aufmerksamen Betrachter eines Wracks wird noch viel mehr auffallen als nur seine Größe und Lage, sein Zustand und seine Fracht. Mit zunehmender Dauer seiner Ruhe auf dem Meeresgrund nimmt auch die Zahl an Meerestieren zu, die es besiedeln. Manche Wracks entwickeln sich zu so artenreichen Lebensräumen, dass sie manchmal als „künstliche Riffe“ bezeichnet werden. Was macht sie so attraktiv für Meeresbewohner?

Die Sichtung und Erkundung eines Wracks zählt zu den spannendsten Augenblicken eines Tauchganges. Der Vorstoß in das Innere eines Wracks erfordert hohes taucherisches Können. Perfekte Tarierung, Manövrieren auf engstem Raum, vorsichtige Bewegungen, ausreichender Luftvorrat und die Verwendung von Unterwasserlampen sind die wichtigsten Voraussetzungen. (Unbenanntes Wrack, Al Gobal Sogayer)
Begehrte Aufwuchsflächen. Die Meeresböden bestehen zum Großteil aus Sand- und Schlammflächen. Auf diesem mobilen Untergrund ist es schwierig bis unmöglich sich festzusetzen. Wracks bieten dagegen stabiles Hartsubstrat und werden daher gerne von Schwämmen, Hydrozoen, Hart- und Weichkorallen, Moostierchen, Manteltieren und anderen sessilen Organismen besiedelt. Diese Tiere können mit der Zeit alten Wracks zu ungeahnter Farbenpracht verhelfen.

Dem Licht entgegen. Große Wracks können sich mit ihren Aufbauten über viele Meter vom Meeresgrund erheben. Das kann genügen, um lichtliebenden Arten einen geeigneten Lebensraum nahe genug der Wasseroberfläche zu bieten. Vor allem Steinkorallen benötigen viel Licht, weil sie in Symbiose mit Algen leben. Für deren Fotosynthese ist ein ausreichendes Lichtangebot unbedingt erforderlich.

Versteckplatz und Schlafgelegenheit. Viele Fische nützen das reiche Raumangebot in einem Wrack, um sich dort zu verstecken oder zu ruhen. Das Dämmerlicht im Inneren von Kabinen, von Fracht- und Maschinenräumen ist tagsüber ein idealer Ruheplatz für nachtaktive Fische. Von kleinen Glasfischen bis zu Muränen reicht das Spektrum von Fischarten, die Wracks auf diese Weise für sich nützen. Andererseits schätzen manche tagaktive Fische Wracks als nächtliche Schlafplätze. Papageifische verschwinden in Spalten und Ritzen, Kugelfische ruhen freiliegend auf allen möglichen Aufbauten.

Attraktives Jagdrevier. Der Fischreichtum in und um Wracks zieht Raubfische an, die hier reiche Beute finden. Im freien Wasser rund um das Wrack jagen Barrakudas und Stachelmakrelen. Im Inneren von Wracks liegen Skorpionsfische auf Lauer, jagen Zackenbarsche und gehen Muränen auf ihre nächtlichen Jagdzüge. Aber nicht nur für Fische sind Wracks beliebte Jagdreviere. Auch Unterwasser-Fotografen kommen hier voll auf ihre Rechnung. Von der Weitwinkelaufnahme des Schiffsrumpfes bis zur Makroaufnahme winziger Details bietet das Wrack dem ambitionierten Taucher alles. Es ist also nicht verwunderlich, dass alte Schiffswracks mit ihrer geheimnisvollen Vergangenheit und ihrem prächtigen Aufwuchs zu den beliebtesten Tauchplätzen in allen Weltmeeren zählen.

Auswahl empfehlenswerter Wrack-Tauchgänge:
Rainbow Warrior (25 Meter, Bay of Islands, Neuseeland)
SS Thistlegorm (25 Meter, Shab Ali, Rotes Meer)
RMS Rhone (10 bis 15 Meter, British Virgin Islands)
Fujikawa Maru (15 bis 40 Meter, Truk Lagoon, Mikronesien)
Constellation (10 Meter, Bermudas)
SS Yongala (33 Meter, Townsville, Australien)
Fotos: Dr. Reinhard Kikinger