Runter mit dem Fetzen! | ocean7

Runter mit dem Fetzen!

von | Mai 9, 2022

Vorbereitung ist das halbe Leben – ein alter Sinnspruch wird beim Segeln täglich unter Beweis gestellt. Sei es nun bei Kommandosprüchen („Klar bei …“) oder bis hin zum „Manöver des letzten Augenblicks“. Und noch eine andere Gesetzmäßigkeit könnte man finden: „Anything that can go wrong, will go wrong.“

Von Gottfried Titzl Rieser

Der Skipper freut sich auf einen herrlichen Segeltag, der Wind bläst mit moderaten zehn Knoten aus Nordost. Also Vollzeug rauf, die Schoten fieren und einen Halbwind-Kurs anlegen – eh klar. Und weil es so schön zu segeln ist, kosten sie es aus: Sie kreuzen vor dem Wind, sie wollen nicht auf kürzestem Weg in den Hafen – der Weg ist ja bekanntlich das Ziel.
Aber irgendwann geht der schönste Segeltag zu Ende, der Skipper rauscht auf die Hafeneinfahrt zu. Er geht kurz hart an den Wind und mit gefierten Schoten lässt er das Großsegel bergen. Die letzten Kabellängen werden mit Rauschefahrt unter Genua gesegelt. Der Skipper will zeigen, wie super er und seine Crew segeln können, wie immer ist um diese Uhrzeit ein Gedränge in Richtung Hafen: Das Bier und die Ćevapčići rufen!
Lässig steht er am Ruder und 100 Meter vor der Hafeneinfahrt gibt er das Kommando „Klar zum Genua-Bergen“ – „Ist klar bei Reffleine“ – „Ist klar bei Schot“ –„Genua bergen!“ Aber da geht nichts! Die Reffleine rührt sich kein bisschen, sie ist wie festgeschraubt.
Die enge Hafeneinfahrt kommt immer näher, hinten stellen sich die anderen Boote an, der Skipper erlebt einen Schweißausbruch, er brüllt „Runter mit dem Fetzen!“, die Crew brüllt zurück „Geht nicht!“ Der Skipper, hektisch und ziemlich laut: „Geht ned, gibt’s ned!“. Im letzten Augenblick dreht er vor der Einfahrtsmole ab, die nachfolgenden Schiffe reagieren glücklicherweise mitdenkend, irgendwie haben sie mitbekommen, dass die Yacht nicht aus Lässigkeit abdreht, sondern dass da irgendwas nicht stimmen kann.

So, was tun? Der Skipper segelt sich frei, damit er ausreichend Raum für seine Manöver hat und auf Ursachenforschung gehen kann. Und der Fehler ist auch schnell gefunden: In der Refft­­rommel der Genua hat sich ein Überläufer gebildet, so ein Hund!

Der klassische Spruch des alten Segellehrers, so lange Kringel zu fahren, bis sich die Genua um das Vorstag gewickelt hat, ist tatsächlich ein Schmäh und in der Praxis schwer realisierbar. Also stellt der Skipper die Yacht an den Wind, will die Genua runterlassen, die Crew fiert das Genua-Fall. Aber wie immer in solchen Situationen trifft auch hier der Faktor „Shit happens“ zu: Er geht nicht hoch genug an den Wind, die Genua lässt sich nicht an Bord halten, sie fällt außenbords ins Wasser. Unterliek an Bord, Segelkopf am Fall, der Wind fährt in die Genua – da hast du keine Chance, das Segel per Hand an Bord zu bekommen. Also wieder zurück an den Start, das Fall anholen – jetzt natürlich fliegt die Genua, weil ja das Vorliek nicht mehr in der Nut geführt wird. Nun geht der Skipper aber wirklich fast in den Wind, die Leeschot wird dichtgeholt, die Genua ist binnen kurzer Zeit an Deck und wird an der Reling festgebändselt.
So geht es also unter Maschine endlich in den Hafen, die Crew ist geschlaucht, der Skipper doch auch etwas kleinlaut. Und bevor es nun in die Taverne zu Ćevapčići und Bier geht, wird die Rollreff-Anlage repariert, der Überläufer (der Hund) aufgelöst.

Um Überläufer zu vermeiden, muss beim Ausrollen der Genua die Reffleine stets etwas unter Spannung stehen. 

Was kann man aus dieser Geschichte lernen?
Die Yacht muss rechtzeitig auf den Landfall vorbereitet werden, dazu gehört selbstverständlich, dass die Segel zur rechten Zeit geborgen werden. „Klar bei Reffleine“ bedeutet, dass die Gängigkeit der Refftrommel und der Reffleine gecheckt wurde. Jeder Skipper sollte wissen, wie die Genua abzuschlagen ist. Beim Ausrollen der Genua muss man darauf achten, dass die Reffleine etwas unter Spannung steht, damit eben durch eine lose Leinenführung kein Überläufer entstehen kann.

Gottfried Titzl Rieser ist Ausbildungsreferent des Yacht Club Austria. Er ist passionierter Fahrtensegler und hat insgesamt so um die 20.000 Seemeilen in seinen Logbüchern dokumentiert. Sein Motto: „Die See ist der beste Lehrmeister!

Fotos: Shutterstock, privat

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